Hinführung

Die Kultur des Kultes


Die vor allem von Deutschland ausgehende Liturgische Bewegung des 20. Jahrhunderts hatte das Ziel, daß die Messe in der Gestalt gefeiert wird, die ihrem Inhalt entspricht. In ihrem Vollzug war sie häufig zu einer Art sakralem Rechtsakt reduziert worden. Nun holte man sie aus diesem „Dornröschenschlaf“. Sie sollte nicht nur „gelesen“ oder vom Priester allein am Altar vollzogen werden, sondern alle Anwesende sollten „tätig“, das heißt wissend und aufmerksam daran teilnehmen können. Die actuosa participatio hatte bereits Papst Pius X. in seinem Motuproprio „Tra le sollecitudine“ vom 22. 11. 1903 gefordert. Nun führte dieses Anliegen zu verschiedenen Änderungen der Meßordnung, vor allem zu der der Ostervigil unter Pius XII, zum Missale Romanum 1965 von Johannes XXIII. und zum Missale Pauls VI. von 1969, das im folgenden als „paulinische Meßordnung“ bezeichnet wird. 


Ende der sechziger Jahre lösten sich viele traditionelle Formen und Umgangsweisen in allen Bereichen des Lebens auf. Die Zeit war experimentell und unkonventionell. Man muß dafür dankbar sein, daß das in dieser Zeit entstandene und bis heute gebräuchliche Missale von 1969 verhältnismäßig konservativ ausgefallen ist. Es versucht im Wesentlichen eine Rekonstruktion der römischen Pfarrliturgie des 12. Jahrhunderts. Das Ergebnis dieses Versuches ist hier ebensowenig zu bewerten, wie der Versuch selbst. 


Entscheidend ist, daß das Missale selbst nur einen kleinen Teil der Veränderungen ausmacht, die tatsächlich seit 1965/1969 in unseren Kirchen geschahen. Die weitgehende Abkehr von allen traditionellen Formen (z.B. Hochaltar, Meßgewand, Latein, liturgischer Gesang, Weihrauch, persönliches Zurücktreten der Person des Priesters hinter das Amt) geht über das Meßbuch Pauls VI. weit hinaus. Es herrschen oft Subjektivität und Willkür, die Person des Priesters gleicht einem Showmaster oder Moderator, er leitet nicht nur die Feier, sondern er und andere (Liturgiekreise, Lehrer, Familiengottesdienstkreise) bestimmen sogar deren Gestalt und Aufbau, ja auch ihren Inhalt (Lesungstexte, Gebete). Das, was mancherorts Tag für Tag und Sonntag für Sonntag den Gläubigen „geboten“ wird, ist problematisch: Viele haben sie die Freude am Mitfeiern verloren und bleiben und innerlich oder äußerlich fern. 


Eindrücke eines Laien von der Kar- uns Osterliturgie einer durchschnittlichen Pfarrei, deren Pfarrer weder besonders progressiv noch konservativ ist: 


„Karfreitag, 10. April 2009. Präsanktifikantenmesse in einer Vorortkirche am Nordrand des Ruhrgebietes. Eine sehr schlichte Feier; dafür wird um so mehr erklärt. Bei der Passion darf man gemütlich sitzen (ob dem Herrn bei den Hohe- priestern und bei Pilatus wohl auch ein Sitzplatz angeboten wurde?). Beim Verscheiden des Herrn allerdings knien doch alle. Bemerkenswert der Sänger des Evangelisten, wie er vor seinem Mikrophonständer niederkniet – so sieht man, was in der heutigen Kirche das wichtigste ist. Auch bei den Großen Fürbitten spart man sich alle Participatio actuosa: gekniet wird nicht. Dafür sind die Orationen selbstgemacht. Zur Kreuzverehrung wird ein drittes Mal erklärt, was wir nun tun sollen, auch, ganz ausführlich, was das bedeutet. Dafür spart man sich alle Umstände wie Ver- und Enthüllen. Und nun die Kommunion. Eingeleitet wird sie mit der Erklärung, nun werde das Brot verteilt, das an die Hingabe Jesu erinnere.“


„Ostersonntag, 12., und -montag, 13. April 2009. Ostermessen in einer Vorortkirche am Nordrand des Ruhrgebietes. Eigentlich bin ich ja gewarnt, nicht nur vom Karfreitag. Aber für einen alten Menschen, den ich nicht alleinlassen möchte, ist diese Kirche am besten zu erreichen; und in der Osternacht hatte ich anderswo eine wirkliche Feier erlebt, so daß ich nun wieder etwas verkraften kann. Es ist eigentlich nichts anderes als man in so vielen anderen Kirchen erlebt; aber die alltäglichen Schrecken treten hier archetypisch massiert auf. Der Priester tritt ein, begleitet von Damen und Herren in – zum Teil etwas eigenwilliger – Straßenkleidung, die dann, hinten im Altarraum, versus populum zu Seiten des Priestersitzes sitzen, um dann zu Lektoren- oder Kommunionhelferdiensten hervorzukommen. Der Priester geht nach dem Einzug schnellstens zum Ambo, betrachtet schon die Gemeinde, während die noch eine Strophe des Liedes zum Einzug singt. Dann fängt er an zu begrüßen, teilt schließlich mit, daß wir nun diesen Gottesdienst beginnen «im Namen des ... » – nun also wird also doch noch der erwähnt, um den es eigentlich gehen soll. Das Ordinarium wird vollständig ersetzt durch deutsche Lieder, bei denen gelegentlich ein Zusammenhang mit dem verdrängten Gesang zu erahnen ist. Gern singt der Priester mit der Gemeinde mit, selbst – „Gotteslob“ hoch über dem Altar – eine Strophe des Liedes, das das Agnus Dei vertritt. Vor einer Lesung erklärt der Lektor noch, was man gleich hören wird. Während am Ostersonntag der Priester bei der Begrüßung erklärt hatte, daß man nicht genau sagen könne und die Predigt sich in einer Moralrede erschöpft, kommt am Montag doch noch die Osterbotschaft vor. Bei der Wandlung erhebt der Priester die Hostie mit nur einer Hand. Der Embolismus fällt aus, dafür spricht die Gemeinde das Gebet zum Friedensgruß mit. Selbst am Sonntag, wo nicht sehr viele in der Kirche sind, wird ein Kommunionhelfer herangezogen. «Ein außerordentlicher Diener der heiligen Kommunion kann nämlich die Kommunion nur austeilen, wenn Priester und Diakon fehlen ... oder wenn die Zahl der zur Kommunion herantretenden Gläubigen so groß ist, daß die Feier der Messe selbst allzu sehr ausgedehnt würde. Das ist jedoch so zu verstehen, daß eine kurze Verlängerung ein völlig unzureichender Grund ist, gemäß den Umständen der Dinge und der Kultur des Ortes» schrieb Papst Johannes Paul II. in Redemptionis Sacramentum (C. VII, 1. [158.]). Wenn also die Austeilung eine Viertelstunde dauert statt fünf oder zehn Minuten, so ist es rechtswidrig, Laienhelfer dazu heranzuziehen – und gegen den Sinn des Sakraments erst recht; man lese beim heiligen Thomas nach (S.Th. III., q. 83., art. 3.). Zum Schluß kommuniziert, mit Kelchkommunion, die Entourage des Priesters und als letzter dann er selbst. Zum Schluß der Messe, nach Vermeldungen, verzichtet er nicht darauf, der Gemeinde Gelegenheit zu einem «Danke, gleichfalls» zu geben. Woran könnte man erkennen, daß dies ein Gottesdienst war?“ (Verweis)


Heute herrscht eine neue Sehnsucht nach einer würdigen Feier der Liturgie. Nicht von ungefähr erfahren Gemeinschaften und Pfarreien, in denen die Liturgie objektiv und schön gefeiert wird, großen Zuspruch. 



Das neue Streben nach Objektivität


Mitten im Zweiten Weltkrieg erschien das Buch „Ritus und Rubriken der heiligen Messe“ von Wilhelm Lurz. Es erklärt, wie andere Zelebrationsschulen dieser Zeit, die gregorianische Meßordnung für Priester, Diakone, Subdiakone und Ministranten sozusagen zentimetergenau. Nichts ist ausgelassen. Wer heute dieses zu Pedanterie und Zwanghaftigkeit neigenden Werk in die Hand nimmt, wird vielleicht fragen: Hatte man damals keine anderen Sorgen?


Wir haben heute genau solche Sorgen: Die Liturgie der Messe ist in den „wilden Jahren“ unter das Leitwort „authentisch“ gestellt worden; der Priester solle nur so zelebrieren, wie es (zu) ihm paßt. Wie man geht, wie man steht, wie man die Hände hält – alles war ins Belieben des Zelebranten gestellt, wenn das auch nicht immer durch die neuen, deutlich sparsameren Rubriken des Meßbuchs von 1970/75 gedeckt war.


In letzter Zeit kommt bei den jüngeren Christen und Priestern das Bedürfnis nach neuer Objektivität auf. Man will wissen, wie „man“ es macht, wenn man es „richtig“ machen will. Doch vieles von der alten liturgischen Kultur ist vergessen. Auch mancher um guten liturgischen Stil bemühte Priester weiß z. B. nicht, wie man richtig inzensiert.


Nicht nur weil Papst Benedikt sich eine gegenseitige Befruchtung der beiden Meßordnungen der römischen Kirche wünscht, ist ein Blick in die alten Rubriken und auch in den „Lurz“ sinnvoll: Die Kenntnis der Tradition macht den Zelebranten im Umgang auch mit den erneuerten Formen sicherer.


In diesem Sinne wird hier versucht, einige Hinweise zu einer Zelebrationsweise zu geben, die nach persönlicher Zurückhaltung und Objektivität strebt. Das, was in der paulinischen Ordnung der Messe nicht geregelt ist, wird aus den Regeln der gregorianischen entwickelt. In den Punkten, wo eine Bereicherung des paulinischen Ordo durch den gregorianischen möglich und besonders naheliegend scheint, wird auf die überlieferte Form hingewiesen.


Im folgenden wird der Ablauf der Heiligen Messe detailliert beschrieben – vor allem im Hinblick auf den zelebrierenden Priester. Andere Personen und Funktionen werden nur am Rande erwähnt. Grundlage sind die Rubriken des Meßbuchs Pauls VI. in der editio typica von 1975. 


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